Joachim Reuss und Dominik Prodöhl

Kriegsursachen

Ein viktimologischer Ansatz



Empirisch-theoretische Untersuchung
der Arbeitsgemeinschaft für
Interdisziplinäre Grundlagenforschung
über Ursachen gewaltsamer Konflikte
Chur / Biel (Schweiz)

März 1992
     


Publiziert in der Reihe "Werkstattpapiere" der
Stiftung für Entwicklung und Frieden
SEF - Gotenstrasse 152 - D-53175 Bonn




Inhaltsverzeichnis

Vorwort der SEF
Einleitende Vorbemerkungen
1. Konzept, Zusammenfassung
2. Viktimologische Prinzipien und Typologie
3. VP-Merkmale auf (inter-)staatlicher Stufe und ihre Wechselwirkung
4. VP-Zustand als latente Kriegsursache -- Nachweis und Interpretation
5. Fragen der Kriegs-Vermeidung unter dem viktimologischen Aspekt
Literatur
Anhang:   (in separaten Dateien)
A Erklärung zu Schema 1
B Detail-Daten zu Tabelle 3






Vorwort der SEF

Interdisziplinäre Forschungsprozesse räumen Wissenschaftlern unterschiedlichster Disziplinen im Rahmen der Behandlung komplexer Sachverhalte die Möglichkeit ein, der Forschung neue Denkanstöße zu geben und konventionelle Denkstrukturen in Frage zu stellen. Mit der Reihe Werkstattpapiere bietet die Stiftung Entwicklung und Frieden diesem Aspekt wissenschaftlicher Arbeitsweisen ein Forum.

Die vorliegende Studie geht davon aus, daß Erkenntnisse aus der Viktimologie -- als sozialwissenschaftliche Teildisziplin -- geeignet sein können, innerhalb der Kriegsursachenforschung neue Denkanstöße zu geben. Mit ihrer Veröffentlichung soll die wissenschaftliche wie auch die öffentliche Diskussion angeregt werden.
Dr. Norbert Ropers,
Institut für Entwicklung und Frieden,
Universität Duisburg


März 1992









Einleitende Vorbemerkungen

Viktimologie hat, zumindest im interpersonalen Bereich, neue Zusammenhänge innerhalb empirisch gesicherter Konfliktstrukturen erschlossen. Offiziell eine Unterdisziplin der Kriminologie, fand sie gleichwohl bisher kaum Eingang in den Kontext soziologischer Forschung oder in den banachbarter Disziplinen. Von daher ist verständlich, dass eine sehr bemerkenswerte Untersuchung [1], die ca. 470 Publikationen (von etwa 410 Autoren) zur Kriegsursachen-Forschung zusammenfassend analysiert, vergleicht und kritisch wertet, den Begriff Viktimologie nicht enthält. Dasselbe gilt für alle uns bekannten Originalschriften und Sekundärauswertungen zu diesem Themenbereich.

Als (überwiegend mittelbare) Kriegsursachen werden in [1] u.a. folgende vorgestellt, diskutiert und z.T. hinsichtlich Methode und/oder Ergebnis in Frage gestellt: Macht(-Gleichgewicht/-Ungleichgewicht), Bevölkerungsdichte, Rüstungswettlauf, zwischenstaatliche Statusinkonsistenz, "Distanz" der Staaten (u.a. soziologisch, wirtschaftlich, technologisch), Art der Handelsbeziehungen, totalitäres Regime (aber auch Gegenthese: Regierungsform ohne Einfluss auf Kriegsbereitschaft), Expansionszwänge des Kapitalismus, "Biologische Konstanten" bzw. intra(art)spezifische Selektion.

Da Viktimologie offenbar konfliktspezifisch problem-orientierte Prinzipien impliziert, liegt es nahe, sie einer verbesserten Transparenz der Zusammenhänge um Kriegsursachen dienstbar zu machen. Dabei erweist sie sich zugleich als geeignet, einen Teil der bisherigen, untereinander wenig "kompatiblen" Lösungsansätze "ganzheitlich" zu integrieren.

Anderseits steht im voraus fest, dass Krieg "nur" ein (wenngleich herausragender) Spezialfall kollektiver Viktimisierung ist -- neben Hungersnot, Seuchen, Revolten, Folter, organisierter Kriminalität, Schädigung durch Umweltgifte, Pestizide, Fallout und dergl.

Zunächst beiläufig, sodann in gezielten Beobachtungen auf intergroup- und zwischenstaatlicher Ebene ergaben sich Ansätze, diese -- auch in geschichtlicher Dimension -- unter dem viktimologischen Aspekt systematisch zu untersuchen. Während im (inter)personalen Bereich empirisch und theoretisch seit langem geklärt ist, welche Merkmale zur "Opferwerdung" prädisponieren, geht es hier analog um die Frage, welche Indikatoren auf (inter)staatlicher Stufe eine viktimologische Prädisposition kennzeichnen. Dazu war vorab zu klären, wie/welche Indikatoren/Variablen und Zusammenhänge aus dem (inter)personalen auf den (inter)staatlichen Bereich (ohne unzulässige Vereinfachung) übertragbar sind, und welche Besonderheiten -- über die (inter)personale Viktimologie hinaus -- sich im (inter)staatlichen Bereich ergeben. (Diesen Besonderheiten ist z.B. die Frage zuzuordnen, welche Rolle die durch Staatsgrenzen und -angehörigkeit gesetzten Rand- und Anfangsbedingungen spielen). Die einzelnen Schritte sind im wesentlichen im lfd. Text beschrieben.
Es ist bisher nicht gelungen, die qualitativ definierten Indikatoren quantitativ mit der wünschbaren Genauigkeit abzugrenzen. Es ging vorerst darum, eine insoweit sichere Grundlage zu erarbeiten, dass zusätzliche Untersuchungen mit umfangreicheren und weiter präzisierten geschichtlichen Daten (besonders der jüngeren Vergangenheit) zur auch quantitativ differenzierteren Definition von Kriegursachen führen.

Die viktimologische Interpretation sollte theoretisch plausibel, in zulässiger Weise einfach, und empirie-konform sein.
Zu den Vereinfachungen gehört z.B., die verschiedenen Irrationalismen als (nur verschiedene) Erscheinungsformen staats-interner Zwietracht zu verstehen : In dieser Variablen zusammenfassen lassen sich fast alle Komponenten ethnisch-nationalistischer, dogmatisch-religiöser, fundamentalistisch-ideologischer, extrem "rechter" oder "linker" Richtungen . Die ihnen prinzipiell gemeinsamen Merkmale sind, aufs wesentliche verkürzt, diese :
  1. Sie versprechen, zumindest so lange noch nicht macht-gefestigt -- propagandistisch die "Beglückung" ihrer potentiellen Anhänger (sei dies auch im "Jenseits"), vor allem späterer Generationen;
  2. Sie stellen implizit einen Ausschliesslichkeitsanspruch und provozieren damit aggressiv Gegensätze, die zunächst latent, bald zunehmend manifest zu (repressiver, aber auch "unkontrollierter") Gewalt eskalieren -- vorwiegend innerhalb der dafür besonders "ansprechbaren" Unterschicht.
  3. Mittel einer "Rechtfertigung" und Durchsetzung vorgeblicher Ziele sind, direkt oder implizit, Vorwände : Es sei im Interesse aller "notwendig", für den Sozialismus, das Vaterland, die islamische Revolution u. dergl. Opfer aufzubringen: Anhänger bzw. Mitläufer müssen dazu Hunger, Flucht, Vertreibung, Verwundung oder Tod durch Krieg hinnehmen; während den Nicht-Einverstandenen nur Flucht, Folter, Hunger und/oder Hinrichtung bleibt. Die für die nahe Zukunft und/oder die nächsten Generationen in Aussicht gestellten Vorteile verkehren sich ins Gegenteil.
  4. Zu den vorgeblichen, propagandistisch pseudorational erklärten "Notwendigkeiten" gehört auch und vor allem der Krieg. In der (kaum bewussten) Bilanz geht es fast nur irrational um Konflikt um des Konfliktes willen -- eines der Wesensmerkmale des viktimologischen Prinzips.
Um einem Missverständnis vorzubeugen, ist hier zu betonen, dass zwischen dem soeben beschriebenen Extrem- und dem "Normal"-Zustand fliessende Übergänge auftreten können; diese sind jedoch meist instabil und relativ kurzzeitig.

Da die Viktimologie (z.B.) Charaktere definiert, die jeweils "bevorzugt" zu bestimmten Kategorien der Opferwerdung neigen, war sie vereinzelt der Kritik ausgesetzt, dies impliziere, dem Opfer die Schuld an der Opferwerdung zuzuweisen -- oder sei so interpretierbar. Das (Schein)problem lässt sich umgehen, indem wir "Schuld", de facto meist willürlich zwischen Ursache und Wirkung eingefügt, eliminieren und nur den direkten Zusammenhang in Betracht ziehen. Im übrigen kann Forschung Tatsachen nur feststellen und ordnen, -- davon unabhängig, ob sie vereinzelt als "unangenehm" interpretierbar sind.

Entsprechend haben wir uns auch bemüht, keine im weitesten Sinn weltanschaulichen Momente in Untersuchungsmethodik oder Darstellung der Resultate einfliessen zu lassen. Emotionales, Ideologisches, Antipathien und dergl. eignen sich prinzipiell als Objekt wissenschaftlicher Beschreibung -- nicht als ihr Subjekt.

Herrn Dr. Norbert Ropers danken wir für wertvolle Hinweise bezüglich Literatur und Gestaltung des vorgelegten Textes.


Joachim Reuss, Dominik Prodöhl
Chur/Biel im Januar 1992





"Die Menschheit kann nur überleben, wenn sie lernt,
 krisenhafte Veränderungen in der Welt vorweg zu
 begreifen und zu steuern."
-- Club of Rome, 1979




1. Konzept, Zusammenfassung

Gemäss Forschungsergebnissen der Viktimologie im interpersonalen Bereich wird Aggression "provoziert" durch Erscheinungsformen deutlicher Unterlegenheit im Wesen, Verhalten und/oder Status; sie bilden die Voraussetzung, Opfer erheblicher Schädigungen zu werden.
In Untersuchung der Frage, welche Merkmale auf der Stufe von Staaten diesen Erscheinungsformen entsprechen bzw. welche Indikatoren sie dort kennzeichnen, konnten wir die folgenden identifizieren:
Langfristige (> 10 Jahre) Erfolglosigkeit (bezeichnet als U-Zustand, vgl. Tab. 1), und langfristige Zwietracht (D-Zustand); sie stehen in deutlicher Wechselwirkung und implizieren den Zustand viktimologischer Prädisposition (VP-Zustand) [2].
Es liegt nahe, den VP-Zustand heuristisch als Indikator der Latenz von Kriegsursachen einzusetzen. Eine geschichtliche Analyse der (bis zu vier) Jahrzehnte, die jeweils 17 grösseren Kriegen vorausgingen, zeigt, dass jeder der Kriege einem VP-Zustand des späteren Verlierers folgte. Allgemein bereitet ein VP-Zustand jeweils eine der beiden Hauptformen kollektiver Viktimisierung vor: Tod durch Krieg und/oder Hungersnot/Seuchen. Beide wiederum suchen überwiegend die jeweilige Unterschicht der Staaten heim.
Kurzfristige viktimologische Signale (im wesentlichen innerhalb von "Krisen") können Krieg nur dann auslösen, wenn ein VP-Zustand (als latente Phase) vorausging.
Die vorliegende Untersuchung soll zunächst prinzipielle Zusammenhänge klären und im Ergebnis eine "Früherkennung" und Bewertung sich anbahnender Gefahr ermöglichen. Nach jetzigem Stand vermag sie noch nicht alle Einzelfragen zu beantworten; das gilt vor allem für die Quantifizierbarkeit der Indikatoren. Weitere Detailforschung anhand (soweit erreichbar) differenzierteren Datenmaterials wird nötig sein.
Wie jede andere, empirisch auf Fallstudien beruhende Theorie gestattet auch die vorliegende kaum, abzuschätzen, mit welchem "Gewicht" evtl. ein Abschreckungseffekt durch ABC-Waffen zur Verhinderung eines Krieges beiträgt; wie auch allgemein das Tempo des technischen Fortschritts keine geschichtliche Parallele hat.


VP viktimologisch prädisponierte Kategorie (Aggression "anziehend")
VI viktimologisch "immune" Kategorie
D Fall/Ereignis interner Zwietracht (discord) eines Staates
U Fall/Ereignis externer Erfolglosigkeit (unsuccessfulness) eines Staates
D-Zustand Zustand langfristiger und ausgeprägter interner Zwietracht eines Staates
U-Zustand Zustand langfristiger und ausgeprägter Erfolglosigkeit eines Staates
VP-Zustand Wechselwirkung und Überlagerung von D- und U-Zustand

Tab. 1:   Abkürzungen und Bedeutung wiederholt verwendeter Bezeichnungen.



2. Viktimologische Prinzipien und Typologie

Die Viktimologie erwuchs aus der (interpersonalen) Beobachtung, dass Viktimisierte (Konflikt- und Verbrechensopfer) gewisse Charakteristika gemeinsam haben. Das derzeitige Wissen darüber beruht auf einer hinreichend grossen Menge empirischer Information.
Die folgende, sehr kurze Zusammenfassung soll zur Herausarbeitung der viktimologischen Merkmale auf kollektiver Stufe (d.h. vor allem der Staaten) überleiten.
Die Übertragung der viktimologischen Prinzipien vom interpersonalen auf den (zwischen)staatlichen Bereich erfolgt dabei in Kapitel 3 zunächst durch Analogien; die beim Übertrag offenkundig werdenden (weil durch die Analogie nicht unmittelbar erfassbaren) Besonderheiten werden dabei vorweg aufgeführt und diskutiert.
Zu betonen ist dabei, dass diese Übertragung -- ausser durch Analogie und Plausibilität -- durch die empirische Abstützung (sozusagen nachträglich) gerechtfertigt erscheint. Eine streng deduktive Ableitung bzw. induktive Beweisführung, wie sie (im prinzipiell vergleichbaren Fall) in der reinen Mathematik bzw. in den exakten Naturwissenschaften durchführbar wäre, lässt sich in den Sozialwissenschaften offenbar kaum verwirklichen.

Um beide Extreme des soziologischen Spektrums zu erfassen, führen wir vorab zwei Kategorien ein: Die der viktimologisch Prädisponierten, genannt VP, als Hauptgegenstand dieser Untersuchung; und jene der viktimologisch Immunen, genannt VI (vgl. Tab. 1). Naturgemäss überwiegen in der Häufigkeitsverteilung die Übergangsformen (vgl. auch Abb. 1).

Die VP-Kategorie kennzeichnen Erscheinungsformen dessen, was (etwa synonym) als geringe psychische Belastbarkeit, niedrige Frustrationstoleranz bzw. niedrige Stress-Resistenz bezeichnet wird. Solche sind z.B.: Geringe Beherrschung, geringes Durchstehvermögen, Ungeduld, Süchte, illusionäres Wunschdenken, Suggestibilität, Selbstgefälligkeit, Übermut, Ziel- und Sorglosigkeit, Servilität -- Merkmale, die zum Begehen überdurchschnittlich vieler Verhaltensfehler prädisponieren (und "negative" Reaktionen provozieren). Zwangsläufig manifestieren sie sich in langfristiger Erfolglosigkeit, mangelhafter Ausbildung und/oder Reputation, niedrigem Informationsstand, geringem materiellen Reichtum, geringer Existenzsicherheit und dergleichen.

Die VI-Kategorie kennzeichnen grosse Frustrationstoleranz bzw. Stress-Resistenz, erwiesen durch Erscheinungsformen wie Mut, Beherrschung, Selbstbewusstsein, Stetigkeit, Geduld und/oder "entwaffnenden" Charme wo immer (situations-)adäquat. Diese Qualitäten führen in der Regel zu langfristigem Erfolg -- und wirken sich (subjekt-bezogen) weitgehend "konflikt-abweisend" aus.
Aus der interpersonalen Viktimologie lässt sich die Feststellung ableiten, dass der direkte Viktimisierer, d.h. der Täter, Aggressor bzw. "Erfolgreiche" im Gewaltkonflikt, nicht das Gegenstück zum typischen Opfer ist; beide, Opfer und direkte Täterschaft, sind in der Regel der VP-Kategorie zuzurechnen (vgl. Punkt b unten). Das Gegenstück ist vielmehr die VI-Kategorie; sie viktimisiert nicht direkt (und ist dabei oft indirekt und relativ im Vorteil).

Weitere Implikationen der o.g. viktimologischen Prädisposition lassen sich wie folgt zusammenfassen :
  1. Das Opfer provoziert unbewusst seine Viktimisierung durch "unabsichtliche" Verhaltensfehler [3]. ("Zufällige" Selbstverletzung z.B. deutet auf den hohen Anteil des Unbewussten an der Opferwerdung hin). Selbstschädigung trägt mindestens indirekt zur Schädigung durch Dritte bei; meist besteht zwischen beiden eine Wechselwirkung (vgl. Anhang A).
  2. Es besteht eine signifikante Überlappung der Populationen von Opfern und (direkten) Tätern (65%; diese Schnittmenge ist insofern relativ sehr hoch, als die betrachtete Population einen geringen Teil der Gesamtbevölkerung ausmacht). Beide gehören überwiegend den unteren sozialen Schichten an [4, 5].
  3. Da sich ihre Charakteristika im Laufe der Zeit kaum ändern, werden VP wiederholt Opfer : Das "Rückfall-Opfer" ist so das Analogon zum (geläufigeren) rückfälligen Kriminellen [6].
    Ist durch traumatische Erfahrungen eine Opferhaltung entstanden, so besteht die Tendenz, weitere Viktimisierung zu provozieren. Diese Vorgänge laufen unbewusst ab.



3. VP-Merkmale auf (inter-)staatlicher Stufe und ihre Wechselwirkung

Besonderheiten im interstaatlichen gegenüber dem interpersonalen Bereich sind im wesentlichen Folgende. Ihre kurze Darstellung verifiziert die Annahme, dass sie bei Staaten die Effektivität des viktimologischen Prinzips eher verstärken.
Auf interpersonaler Stufe hat die Wechselwirkung in Schema 2 ihre Analogie in Folgendem : Dem U-Zustand entsprechen auch langfristige Misserfolgsserien; dem D-Zustand entspricht die langfristige Selbstschädigung vor allem durch Süchte und/oder psychosomatische Effekte in steter Wechselwirkung mit Erfolglosigkeit.

  1. Staat als nahezu geschlossenes System.
    Das viktimologische Prinzip kommt offenbar umso effektiver zur Geltung, in je höherem Grad das betrachtete soziologische System geschlossen ist.
    Die Skala vom (soziologisch) offenen zum geschlossenen System ist in aufsteigender Folge etwa wie folgt besetzt: 1) Veranstaltungs-Publikum, 2) Verein, 3) politische Partei, 4) Berufsverband, 5) Firma, 6) Staat, 7) "Titanic". In den Fällen 1)...3) ist Bei- und Austritt für Individuen noch relativ problemlos; interne und externe Konflikte sind weitgehend durch Auflösung "lösbar". Im Fall 6) ist die Staatsangehörigkeit oft mehr noch als die Staatsgrenze die entscheidende Hürde eines Übertrittes.
    Eine politische Partei oder ein Verein kann sich auflösen (z.B. wegen Misserfolges, Mitgliederschwund; vgl. auch Anhang A). Ein Staat kann sich nicht analog auflösen, indem seine Mitglieder sogleich eine beliebige Staatsangehörigkeit ihrer Wahl annehmen können. Darin liegt keine hinreichende, jedoch eine notwendige Bedingung eines Krieges.
    Da die Titanic-Katastrophe in einem "ideal" abgeschlossenen System ablief, kamen hier typisch viktimologische Verhaltensmuster zur Geltung. Sie erklären u.a. das scheinbare Paradox, dass die Unterschicht (quasi symbolhaft in den unteren Decks untergebracht), angesichts ihres ansonst sicheren Ertrinkungstodes nicht gegen die Oberschicht aufzubegehren wagte, obschon sie dabei auch "nur" ihr Leben riskiert hätte.
    Insoweit ist diese "Geschlossenheit" auch Voraussetzung für die Effektivität der in Schema 2 dargestellten Wechselwirkung. Ferner ist zu erkennen, dass Staatsgrenzen weitgehend selektiv durchlässig sind: Für grenzüberschreitende (wertvolle) Informationen, Personen und Güter. In der Regel "wandern" diese aus uneinigen und erfolglosen Staaten zu solchen in einem VI-Zustand. Naturgemäss kommt der Generationenwechsel als potentiell verändernd hinzu. Daraus folgt auch: Während psychische Merkmale eines Individuums eher konstant bleiben, können solche von Staaten sich im Verlaufe von Jahrzehnten und Jahrhunderten ändern. Daher wird nicht von "VP-Staaten", sondern von Staaten im VP-Zustand zu sprechen sein.
  2. Unterschicht.
    Jeder Staat enthält u.a. Ober- und Unterschicht; letztere ist weitgehend kongruent mit der VP-Kategorie. Während Verlieren in einem interpersonalen Konflikt den Tod des Opfers bedeuten kann, wird ein Staat durch Krieg, Hunger und/oder Seuchen faktisch überwiegend einen Teil seiner Unterschicht verlieren, als Staat jedoch überleben (vgl. Punkt b in Kap. 2 und 3).
  3. Intra- und interstaatliche Rechtssysteme.
    Der formaljuristische Aspekt (im Rechtsstaat) sieht im "erfolgreich" Attackierten das Opfer, im Angreifer den (kriminellen) Viktimisierer, und berücksichtigt die etwaige Vorgeschichte des Konfliktes. Anders, eher umgekehrt, verhält es sich zwischentaatlich: Entsprechend den hier im Grunde anderen Macht- und Rechtsverhältnissen waren bisher Ursachen und Folgen eines Krieges kaum jemals Gegenstand der Beurteilung durch ein (faktisch unabhängiges) Gericht. So wurden Schuld und Schadenersatz ("Reparationen") jeweils quasi automatisch dem Verlierer auferlegt. Dadurch wird dieser -- ohnehin meist am stärksten von Kriegsschäden betroffen -- faktisch zum (Haupt-)Opfer (ausgeprägtes Beispiel: Versailler "Vertrag" von 1919). Diese quasi nachdoppelnde Schädigung ist für viktimologische Prozesse typisch.
  4. Politische Führung.
    Bei der Rolle, welche die Qualität der politischen Führung für die nächste Zukunft eines Staates spielt, ist nicht zu verkennen, dass diese Qualität dem politischen bzw. psychischen Zustand des Staatsvolkes selbst weitgehend entspricht.
    Diktatorische Systeme viktimisieren vor allem das "eigene" Staatsvolk (durch schwere Menschenrechtsverletzungen, Auslösung von Kriegen, Zumutung sehr grosser Opfer und dergl.), da das Verhalten des Volkes -- zunächst Zustimmung oder Gleichgültigkeit, dann widerwillige Duldung von Zumutungen, und schliesslich die manifeste Unfähigkeit, die Diktatur kraft eigener Solidarität abzuschütteln -- einen VP-Zustand signalisiert (hautsächlich in der Erscheinungsform mangelnder interner Solidarität) : Insofern setzen Entstehung und Fortbestand einer Diktatur ein von politischen/wirtschaftlichen Misserfolgen sowie durch Misstrauen und interne Zwietracht gekennzeichnetes Staatsvolk voraus.
In diesen Besonderheiten widerspricht offenbar nichts der Zulässigkeit, den Implikationen a. bis c. aus Kap. 2 die nachstehenden Analogien auf kollektiver Stufe zuzuordnen (gerechtfertigt zudem dadurch, dass sich die Folgerungen daraus, wie zu zeigen, ihrerseits empirisch bestätigen):
  1. Interne Zwietracht im Staat, entsprechend latenter Selbstzerstörung, kann zum Bürgerkrieg eskalieren, der nicht selten die Voraussetzung für Intervention(en) durch Drittstaaten schafft. Dieser Zusammenhang ist zumindest der Mehrheit der am internen Streit Beteiligten nicht bewusst.
  2. Eine Überlappung von Opfer und direktem Viktimisierer besteht vor allem beidseits militärischer Kampf-Fronten. Die Viktimisierung setzt neben Freiwilligkeit den rigiden Zwang seitens der Institution Militär (bzw. der sie tragenden Gesellschaft) voraus, diesem anzugehören sowie im Kriegsfall das eigene Leben zu riskieren und das Anderer zu zerstören: Frontsoldaten sind zumindest potentiell Opfer und Täter zugleich.
  3. Wiederholte Viktimisierung der VP-Kategorie auf zwischenstaatlicher Stufe ist auch geschichtlich nachweisbar. Tab. 2 enthält 17 Serien solcher Kriege, die jeweils dieselbe Kriegspartei verlor. Die mathematische Wahrscheinlichkeit dafür, dass Serienzahlen mit so hohem Anteil an der Gesamtheit zufällig aufreten, ist gering. Demnach weist die wiederholte Viktimisierung auch hier eine auffällige Häufung auf.


Anzahl
einzelner
bewaffn.
Konflikte:
Sammelbezeichnung
der Kriege/Schlachten:
von ... bis: gemeinsamer
Verlierer:
Serien bewaffneter Konflikte von Mittelmeerstaaten im Altertum:
Ägypten gegen Nildelta -2885 ... -2863 Nildelta
Ägypten gegen Nubien -2663 ... -2273 Nubien
Theben gegen Mittel-Ägypten -2112 ... -2061 Mittel-Ägypten
Hyksos gegen Ägypten -1709 ... -1659 Ägypten
Ägypten gegen Hyksos -1580 ... -1558 Hyksos
Ägypten gegen Nubien -1638 ... -1522 Nubien
Ägypten gegen Syrien & Mesopotamien -1539 ... -1460 Syrien
Persische Kriege -490 ... -449 Persien
Punische Kriege -264 ... -146 Karthago
Mazedonische Kriege -215 ... -116 Mazedonien
Serien bewaffneter Konflikte in und um Europa nach 1300:
Schweizerische Unabhängigkeitskriege 1315 ... 1499 Habsburg/Reich
Türkei gegen Venetien 1423 ... 1573 Venetien
Litauische Abwehr gegen Moskau 1488 ... 1522 Litauen
Frankreich gegen Habsburg in Italien 1521 ... 1544 Frankreich
Schlesische Kriege 1740 ... 1763 Habsburg/Reich
Weltkriege 1914 ... 1945 Deutsches Reich
Israel gegen Arabische Staaten 1948 ... 1973 Arab. Staaten

Tab. 2:   17 Serien grösserer Feldzüge/Kriege mit jeweils derselben Nation/Allianz als Verlierer.



Damit ist jedoch nur ein Teil des U-Zustandes erfasst (vgl. Schema 2, links unten), und demzufolge mit dem vorliegenden Zusammenhang die Frage nach allgemein gültigen Kriegsursachen nur teilweise beantwortet : Offen bleibt zunächst, was (a) dem jeweils ersten Krieg einer Serie, bzw. was (b) jedem nicht in eine Serie einzuordnenden Krieg vorausgeht.
Die allgemeingültige Beantwortung der Frage nach den Ursachen setzt offenbar die Suche nach dem gemeinsamen Nenner des viktimologischen Prinzips voraus. Dieser ist im VP-Zustand zu erkennen, dessen (oben bereits teilweise vorweggenommene) Haupt-Indikatoren, D- und U-Zustand, die o.g. Prinzipien a. bis c. in sich vereinen. D- und U-Zustand resultieren je aus einer Abfolge von D- und/oder U-Ereignissen (s. Tab. 3; vgl. auch Anhang A), die einander wechselseitig verursachen. Diese Ereignisse können z.B. mit den in Schema 2 genannten Erscheinungsformen identisch sein. Es vermittelt eine Übersicht zum "mehrdimensionalen" Zusammenhang, wobei problem-orientiert vorwiegend der VP-Zustand interessiert. Dieses Ergebnis wird im weiteren empirisch zu bestätigen, zu kommentieren bzw. zu interpretieren sein.
Von dieser Überlegung unabhängig lässt sich das im Prinzip gleiche Ergebnis ableiten, wenn man von den allein möglichen Hauptformen -- der internen und der externen Viktimisierung -- ausgeht und zwischen diesen (bzw. ihren Erscheinungsformen) eine Wechselwirkung feststellt (Schema 1). Diese Wechselwirkung ist in Anhang A eingehender beschrieben und begründet. Als analog zu beiden Hauptformen zu interpretieren sind die in Schema 2 (unterer Teil) aufgeführten Erscheinungsformen.




Schema 1:  Wechselwirkung der Viktimisierungsformen.
(nähere Erklärungen dazu)





Schema 2:  Wechselwirkung der beiden Hauptindikatoren je des VI- und VP-Zustandes und ihre möglichen Folgen.
Beispiele der Erscheinungsformen sind jeweils aufgezählt. "Langfristig" bedeutet "> 10 Jahre".



D- und U-Zustand haben nachstehende Eigenschaften gemeinsam (ohne Anspruch auf Vollständigkeit) :
  1. An ihren jeweiligen Komplementen (welche im VI-Zustand resultieren), fällt eine indirekte Gemeinsamkeit auf: Interne Solidarität hat einen faktisch exklusiven Zug und ist daher latent gegen die nicht Einbezogenen gerichtet; auch Erfolg impliziert einen "elitären" Unterschied gegen über vergleichsweise Erfolglosen; während den VP-Merkmalen eine Neigung zu Unter- legenheit bzw. Niederlage gemeinsam ist.
  2. Sowohl ein D- als auch ein U-Ereignis (vgl. Tab. 1) kann bei potentiell gegnerischen Staaten Schadenfreude auslösen (im allgemeinen wenig manifest auf diplomatischer Ebene; deutlicher schon in den Medien). Dieser Effekt kann direkt oder mittelbar weitere Fälle von Zwietracht und/oder Misserfolg hervorrufen.
  3. Ihre Effektivität wird durch ihre Wechselwirkung nahegelegt (vgl. Schema 2 und Anhang A). So kann ein relativ kurzfristiges D- oder U-Ereignis, z.B. in Gestalt einer der Erscheinungsformen, ein anderes auslösen (qualitative Wechselwirkung), und dieses wiederum ein anderes u.s.w. Naturgemäss verstärken die Erscheinungsformen einander auch (quantitative Wechselwirkung).
Ob solche Wechselwirkungen ausgelöst werden, sich fortsetzen und so langfristig als (eo ipso "chronischer") VP-Zustand manifestieren, ist das entscheidende Kriterium: Auf eine noch geringe aussenpolitische Test-Provokation -- noch kein Misserfolg an sich -- würde ein intern solidarischer Staat sofort eine "Antwort" erteilen, die weitere Provokationen ausschliesst. Dieser Erfolg wiederum stärkt die interne Solidarität. Reicht die Solidarität nicht aus, diese Lage zu meistern, so werden weitere, verstärkte Provokationen eher "attrahiert", und die zuletzt unter Punkt 3 genannten Wechselwirkungen kommen zustande (vgl. dazu Kapitel 4.3). Das hier zugrundegelegte Szenario hat ein Beispiel in der jüngeren Geschichte: Offizieller Protest der Schweiz in Berlin gegen die Entführung eines Juden aus Basel (1935, durch zivil getarnte SA) führte zur sofortigen Rückgabe des Gekidnappten. Im Übrigen führte das beharrliche Bekenntnis der schweizerischen Politik zur Neutralität auch seitens Deutschland zu deren verbaler und schliesslich faktischer Anerkennung.
Hingegen liess sich die damalige CSR im Okt. 1938 durch die Westmächte bevormunden und schliesslich im März 1939 von Hitler dazu erpressen, einem Einmarsch deutscher Truppen keinen Widerstand entgegenzusetzen. Nach erfolgter Besetzung leisteten die Rüstungsindustrien in Pilsen und Prag einen erheblichen Beitrag zur Waffenproduktion für Deutschland.

Bereits bei ungefährer Schätzung ist z.B. der Zusammenhang aussenwirtschaftlicher Erfolglosigkeit (als eine der Erscheinungsformen des U-Zustandes) mit Despotismus (als eine der Erscheinungsformen des D-Zustandes) gegenwärtig evident: Während ca. 90 % aller materiell (erfolg)reichen Staaten demokratisch/liberal sind, weisen ca. 85 % der Staaten mit langfristiger materieller Armut mehr oder weniger Totalitarismus und Intoleranz (bis hin zum Bürgerkrieg) auf.
Auch für die Gültigkeit dieses Zusammenhanges auf der Zeitachse gibt es einen Beleg: Während die Nazis 1928 in Deutschland nur 3 % der Wählerstimmen erhielten, waren es 1932 33 %, nachdem die Arbeitslosigkeit steil auf 32 % angestiegen und die industrielle Produktion auf 60 % der von 1928 abgefallen war.

M. D. Wallace hatte eine Hypothese formuliert [7], deren wichtigste Variable, die "Statusinkonsistenz", sich zum Teil mit dem U-Zustand deckt. (alle im weiteren als Zitate gekennzeichneten Textstellen sind aus [1] zitiert).
Ausgangsbasis war dabei die sozialpsychologische Hypothese, wonach "eine Kluft zwischen tatsächlicher gesellschaftlicher Unterprivilegierung und persönlichen Gewinnerwartungen zu individuellen Frustrationen und Aggressionen beiträgt ...." [1]. Durch Übertragung auf die Theorie internationaler Beziehungen versuchte er, diese Hypothese der Kriegsursachenforschung mit der nachstehenden Interpretation nutzbar zu machen. "Der Begriff der Statusinkonsistenz umschreibt dabei einen Zustand, der durch ein Auseinanderfallen der demographischen, militärischen und industriellen Kapazitäten eines Landes und seiner internationalen diplomatischen Reputation gekennzeichnet ist." Ähnlich wie bei M. A. East [8], der den prinzipiell gleichen Lösungsansatz unter dem ähnlichen Begriff "Statusdiskrepanz" und mit etwas veränderten Kriterien untersuchte, konnte M. D. Wallace die mit seinen Prämissen angenommenen Zusammenhänge "zwar in ihrer allgemeinen Richtung" durch einen Test bestätigen; dieser "machte zwar auch einige Differenzierungen erforderlich", nachdem sich gezeigt hatte, dass "die Hypothese [nur] im Falle der Inkonsistenzen zwischen demographischer und militärischer Fähigkeit auf der einen Seite und Anerkennung auf der anderen Seite aufrecht erhalten werden" konnte, "nicht jedoch im Falle von Inkonsistenzen zwischen industriellem Machtpotential und zugebilligtem internationalem Status." [1]
Wenngleich später J. L. Ray [9, 10] und C. S. Gochman [11, 12] (beide zitiert in [1]) "auf der nationalstaatlichen Ebene keinerlei Beziehung zwischen Statusinkonsistenz und Kriegsverwicklung entdecken", und B. de Mesquita [14] mit Bezug auf die "Thesen von Wallace die Brauchbarkeit des Statusinkonsistenz-Modells für die Erklärung von Kriegen überhaupt" verneint [1], erscheint es mit Rücksicht auf die offenbare Schnittmenge zwischen Statusinkonsistenz und U-Zustand möglich, durch Sekundärauswertung der Arbeiten von M. D. Wallace und M. A. East zur qualitativen und quantitativen Präzisierung der als U-Zustand bezeichneten Variablen beizutragen -- insoweit jene Thesen mit dem Oberbegriff "Misserfolg" (des U-Zustandes) verträglich sind.
Offenbar deuten Statusinkonsistenz bzw. -diskrepanz -- wie auch andere Modelle, je allein -- in die richtige Richtung, repräsentieren jedoch im wesentlichen nur jeweils eine der Erscheinungsformen der mit Krieg korrelierenden Variablen; sie beruhen gewissermassen auf einer monokausalen Konzeption. Wir gehen hingegen davon aus, dass eine Variable wie der U-Zustand -- formal beschrieben -- als Summe von etwa sechs Erscheinungsformen zu verstehen ist : In einer entsprechenden Gleichung steht demnach die abhängige Variable links, die Erscheinungsformen (quantitativ inkl. Gewichtung) werden rechts des Gleichheitszeichens summiert. (Jede der Erscheinungsformen wiederum resultiert aus einem Kriterienkatalog; andererseits kann sich herausstellen, dass nicht alle Erscheinungsformen voneinander völlig unabhängig sind). Wenngleich zudem zu vermuten ist, dass tatsächlich die Variable von wenigen weiteren (noch unbekannten) Erscheinungsformen -- ausser den angenommenen sechs -- abhängt, wird die Variable viel genauer mit der Summe der sechs Erscheinungsformen korrelieren, als mit nur einer davon. Entsprechend hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass die kollektive Viktimisierung, bzw. die Kriegsentstehung, genauer mit der Summe korreliert als mit nur einer der Erscheinungsformen. Hinzu kommt hier die Wechselbeziehung mit dem D-Zustand, der wiederum Summe seiner Erscheinungsformen ist und so das "Definitionsnetz" der Kriegs-Voraussetzungen entsprechend verdichtet. Damit ist der VP-Zustand durch eine relativ grosse Anzahl Erscheinungsformen bestimmt, denen auch insoweit hohes Gewicht zukommt, als sie als langfristig definiert sind. Andererseits stellt die Wechselwirkung zwischen U- und D-Zustand bereits für sich ein Merkmal dar, das es erleichtert, den VP-Zustand im Frühstadium zu erkennen.
Ein weiteres Beispiel für die begrenzte Eignung weitgehend monokausaler Modelle zeigt sich in der in [1] vorgestellten Diskussion um die Frage, ob/ inwieweit demokratisch-liberale Systeme friedfertiger sind als totalitäre Systeme. Während fünf Politiker bzw. Philosophen die Frage praktisch vorbehaltlos bejahend beantworten, stimmen dem auf Grund ihrer neueren, systematischen Untersuchungen sechs Friedensforscher ebenfalls zu, wogegen neun weitere sie verneinen oder nur mit Vorbehalten einen gewissen Zusammenhang erkennen. Deutlich wird dabei bereits, dass freiheitliche Systeme untereinander friedfertig sind (z.B. [15]) -- ein Ergebnis, das auch unter dem viktimologischen Aspekt resultiert [2]. Die ebenfalls in [15] vertretene These, "je freiheitlicher ein Staat, desto weniger neigt er zur Gewaltanwendung nach aussen", ist so jedoch angesichts des Ausmasses der Bombardierungen Deutschlands und Japans, vor allem auch angesichts des Vietnamkrieges nicht haltbar. Unter dem viktimologischen Aspekt ergibt sich dazu empirie-konform die Aussage, dass das Ausmass der Kriegsverwicklung, d.h. der Schädigung durch Krieg, mit dem Grad der VP-Charakteristika eng zusammenhängt.

Zum direkten Nachweis einer Korrelation der Variablen "Externer Erfolg" und "Interne Solidarität" haben wir deren Daten (nach den Erscheinungsformen von Schema 2) für 30 europäische Staaten je auf einer Skala von 1 bis 6 geschätzt, und zwar als Mittelwerte des Jahrzehnts 1981-1990 (Abb. 1; rechts oben die Punkte, welche Staaten im VI-Zustand entsprechen; links unten jene, die den näher am VP-Zustand befindlichen Staaten entsprechen). Mit dem Korrelationskoeffizienten r=0.72 und einer Zufallswahrscheinlichkeit p<0.00001 ist dieser Zusammenhang hochsignifikant. Ersetzt man die Schätzdaten der Variablen "Externer Erfolg" durch die des nationalen Pro-Kopf-BSP von 1989, so wird r=0.88, mit entsprechend erhöhter Signifikanz.
Abb. 1:
Schätzwerte des Durchschnitts
1980-1989 der Variablen
"Externer Erfolg" (vertikal) und
"Interne Solidarität" (horizontal)
je auf einer Skala 1 bis 6; n=30
europ. Staaten; r=0.72; p<0.00001.





4. VP-Zustand als latente Kriegsursache - Nachweis und Interpretation

Dokumentierte Geschichte (besonders der Antike) kann ein sehr unvollkommenes Mosaik des tatsächlichen Ereigniskontinuums sein; so kommen nur selten D- und U-Ereignisse explizit zum Ausdruck. Manche der wichtigen D- und U-Ereignisse mussten daher indirekt abgeleitet werden. Die Daten sind in Tab. 3 zusammengefasst. Bezüglich D- und U-Ereignissen wird dabei nicht unterschieden, ob deren materielle/psychologische Auswirkung sich auf ca. ein Jahr beschränkt, oder viele Jahre "überschattet". Anderseits gibt es vermutlich in den Latenzzeiten, für die Tab. 3 nur oder überwiegend D-Ereignisse ausweist, eine "Dunkelziffer" entsprechender U-Ereignisse, die im geschichtlichen Ausweis explizit zu wenig ausgeprägt erscheinen. Eine relative Erfolglosigkeit kann vorliegen, wenn z.B. ein benachbarter Staat langfristig relativ sehr beachtliche Erfolge aufweist.



Bezeichnung: von ... bis: Verlierer: VP-Zustand des Verlierers:
(relevante Fälle)
von ... bis: D U
7 grössere Kriege der Antike:
Syrischer Krieg Ägyptens -1521 ... -1513 Kleinasiat. Allianz -1539 ... -1521   4
Vorderasien-Krieg Ägyptens -1481 ... -1460 Kleinasiat. Allianz -1513 ... -1490 1 1
Grosser Mesopotam. Krieg -1111 ... -1090 Mesopotam. Allianz -1121 ... -1111   3
Perserkriege -490 ... -448 Persien -500 ... -492 1 2
1. Punischer Krieg -264 ... -241 Karthago -308 ... -264 2 3
2. Punischer Krieg -218 ... -201 Karthago -241 ... -218 2 3
3. Punischer Krieg -149 ... -146 Karthago -201 ... -149   3
10 grössere Kriege in und um Europa nach 1300:
Hundertjähriger Krieg 1337 ... 1453 England 1314 ... 1337   5
Dreissigjähriger Krieg 1618 ... 1648 Reich 1596 ... 1618 7 3
Grosser Nordischer Krieg 1700 ... 1718 Schweden 1660 ... 1700 1 7
Spanischer Erbfolgekrieg 1701 ... 1714 Frankreich 1685 ... 1701 2 3
Schlesische Kriege 1740 ... 1763 Habsburg 1713 ... 1740   5
Revolutions- & Nap. Kriege 1792 ... 1815 Frankreich 1759 ... 1792 1 5
Deutsch-Französ. Krieg 1870 ... 1871 Frankreich 1860 ... 1870   4
Russisch-Japanischer Krieg 1904 ... 1905 Russland 1878 ... 1904 1 3
1. Weltkrieg 1914 ... 1918 Deutsches Reich 1903 ... 1914 2 7
2. Weltkrieg 1939 ... 1945 Deutsches Reich 1919 ... 1939 5 1

Tab. 3:  Zusammengefasste Ergebnisse der Fallstudien über Ursachen und Folgen 17 grösserer Kriege.
(Details zu den einzelnen D- und U-Fällen)



Ein Mangel der Daten in Tab. 3, wenngleich nicht prinzipieller Art: D- und U-Ereignisse sind zwar nach ihrer Anzahl, nicht aber nach ihrer Intensität quantifiziert bzw. gewichtet. Eine Gewichtung wäre auf Grund eines einheitlich auf alle D- und U-Ereignisse angewandten Kriterienkataloges grundsätzlich möglich; praktisch wäre dieser jedoch nur auf jüngere Geschichte anwendbar -- dank der hier ausreichenden und zuverlässigeren Information. Entsprechend profunde Geschichts-Analysen sind vorgesehen.

Deutlich voneinander abweichende Grade der Viktimisierung resultieren offenbar aus deutlichen Unterschieden im Grad des vorausgegangenen VP-Zustandes. Beispielsweise wirkten sich die Niederlagen in den Perserkriegen für Persien deutlich weniger verheerend aus als dies die Niederlagen der Karthager in den Punischen Kriegen für Karthago taten.

Zur Klärung weiterer Detailfragen prinzipieller Art sind noch folgende Aspekte zu diskutieren:
  1. Dass jedem Krieg ein VP-Zustand (der ihn verlierenden Staaten/Staatengruppe) vorausgeht, besagt umgekehrt nicht, dass jedem VP-Zustand ein Krieg folgt: Wie bereits einleitend und in Schema 2 zuunterst festgestellt, kann die kollektive Viktimisierung auch im Tod infolge Hungers/Fehlernährung und/oder Seuchen bestehen. Das Gewicht dieser zweiten Hauptform kollektiver Viktimisierung wird aus einem Vergleich der Todesziffern deutlich: Die gegenwärtig durch Mangel-/Fehlernährung und Epidemien allein versursachte Anzahl Todesopfer und beträgt weltweit jährlich etwa das dreifache der jährlichen (im Durchschnitt der Kriegsjahre) Todesopfer im 2. Weltkrieg. Beiden Hauptformen kollektiver Viktimisierung gemeinsam ist -- ausser dem vorausgehenden VP-Zustand --, dass davon jeweils überproportional die Unterschicht betroffen ist.
    Die Wahrscheinlichkeit, dass der VP-Zustand zum Krieg führt, ist offenbar erheblich grösser bei materiell vergleichsweise reichen und meist entsprechend hochgerüsteten Staaten (Beispiele im letzten Jahrzehnt: die beiden Golfkriege); wogegen in materiell armen Staaten die zweite Hauptform mindestens überwiegt (Beispiele im letzten Jahrzehnt: Moçambique, Sudan).

  2. Es kann sich die Frage stellen, inwiefern nicht Staaten im VI-Zustand als kriegsverursachend zu interpretieren seien. Tatsächlich tragen sie insofern indirekt zum Krieg bei, als anhaltender Erfolg eines Staates den U-Zustand eines anderen verdeutlicht. Logische Deduktion zeigt, dass, während Kriege zwischen Staaten im VP-Zustand entstehen können, sie zwischen solchen im VI-Zustand nicht möglich sind (manche VI-Staaten sind auch erfolgreich neutral). Das legt es nahe, den Vorkriegs-Zustand des späteren Verlierers als die tiefere Kriegsursache zu interpretieren.
    Damit stellt sich die Frage, warum überhaupt Staaten im VI-Zustand in Kriege (mit Staaten im VP-Zustand) verwickelt werden. Das scheinbare Paradoxon löst sich weitgehend unter den folgenden Aspekten :
    • Der Prozentsatz an Kriegsopfern und die materielle Schädigung ist viel geringer bei Staaten
      im VI- als bei Staaten im VP-Zustand.
    • Beide Kategorien von Staaten opfern jeweils überproportionale Anteile ihrer Unterschicht.
    • Die VI-Eigenschaft kriegsbeteiligter Staaten besteht meist nur relativ zur VP-Eigenschaft, d.h. sie weicht nicht sehr weit von der Mitte der Häufigkeitsverteilung ab, deren linkes Extremum dem VP-, deren rechtes Extremum dem VI-Zustand entspricht.

  3. Das "Wie" der beschriebenen Zusammenhänge sollte durch weitere Erklärungen des "Warum" ergänzt werden -- innerhalb oder jenseits viktimologischer Aspekte.
    • Entsprechend der Langfristigkeit eines U-Zustandes kann dieser, anders als ein relativ kurzfristiges U-Ereignis, nicht mehr als zufällig interpretiert werden; daher manifestiert sich im U-Zustand eine kaum engagierte Einstellung, bzw. die Unfähigkeit, Probleme zu lösen, bevor sie "chronisch" werden. (Analoges, mit anderem Vorzeichen, gilt für VI-Zustand und -Ereignis).
    • Jedes D- oder U-Ereignis wird in seiner Wirkung verstärkt, sobald es öffentlich (intra- und interstaatlich) bekannt wird. Besonders im VP-Zustand verringert sich dadurch die Frustrationstoleranz; Andauer von Hiobsmeldungen zieht zunehmend Verlust an Prestige, psychischer Identität und Selbstwertgefühl nach sich [16]. Das reduziert die psychischen "Reserven", die nötig wären, die Belastung einer potentiell kriegsauslösenden "Krise" bzw. Test-Provokation ohne Fehlreaktion zu ertragen.
      Es sei an dieser Stelle betont, dass kurzfristige "Auslöser" an sich fast bedeutungslos sind: Treffen Sie einen Staat im VP-Zustand an, so haben auch kurzfristig einberufene Friedenskonferenzen kaum Aussicht auf Erfolg. Umgekehrt spielen Krisen dann kaum eine Rolle, wenn sie zwischen VI- bzw. VI-nahen Staaten aufkommen. Deshalb haben wir die Kategorie der auslösenden, vermeintlich "entscheidenden" Kriegsursachen nicht weiter untersucht.
    • Die allgemeine Unzufriedenheit als Folge von U-Ereignissen wird sich im allgemeinen in Ungeduld, einem weiteren VP-Merkmal, manifestieren: Wenn ein Staat einen Krieg riskiert, geschieht dies meist in der ungeduldigen Hoffnung, durch Gewinne im Krieg die bisherige, erfolglose Entwicklung "wiedergutzumachen".
    • Analog zu interpersonalen Beziehungen führen Misserfolge zum Verlust von Freundschaft, externen Sympathien und Verbündeten. Wogegen VI-Eigenschaften eher zu Verbündeten verhelfen, was die abschreckende Wirkung verstärkt.







5. Fragen der Kriegs-Vermeidung unter dem viktimologischen Aspekt


5.1 Die Frage der angemessenen Friedenskonzeption -- Beispiel Europa

Ein wesentliches Dogma der NATO besagte -- und es gilt implizit im wesentlichen noch jetzt --, dass sich Frieden allgemein nur durch Abschreckung, bei mindestens Gleichstand des "eigenen" Waffenarsenals mit dem "gegnerischen", bewahren lasse. Dem lag u.a. die Behauptung zugrunde, mangelhafte Rüstung der Westmächte in den Dreissiger Jahren sei die Hauptursache für den Zweiten Weltkrieg gewesen; und Westeuropa verdanke den Frieden in den zurückliegenden vier Jahrzehnten der Anwendung dieses Konzeptes.
Unter dem viktimologischen Aspekt bestehen offenbar wesentlich andere Zusammenhänge: Wegbereiter für den Zweiten Weltkrieg waren speziell der ausgeprägte VP-Zustand Deutschlands seit Ende 1918, und der kaum bessere Zustand der anderen europäischen Staaten (nach Beginn der Wirtschaftskrise) allgemein. Die seit 1936 gesteigerte britische Aufrüstung konnte daher den Krieg nicht verhindern.

Anderseits beruht der gegenwärtige Frieden Westeuropas auf
  • seinem gemeinsamen Erfolg im Wirtschaftlichen und Technologischen -- sowohl im Vergleich zur jüngeren Vergangenheit als auch im Vergleich zu den meisten anderen Staaten. Dieser Erfolg steht wiederum deutlich in Wechselwirkung zu
  • der gewachsenen intra-westeuropäischen Solidarität.
Für Westeuropas Zukunft wird es wesentlich auf das Erreichen folgender Ziele ankommen:
  • Die bisherige Erfolgsquote (besonders im Vergleich zu Japan) zu halten;
  • die gegenwärtige Arbeitslosenquote sowie die Umweltbelastung deutlich zu reduzieren und, schwieriger noch,
  • Solidarität und wirtschaftlich-aussenpolitische Erfolge auf Osteuropa zu übertragen. Dieses Verhalten gegenüber Osteuropa erforderte offenbar die Überwindung des klassischen (und kapitalismus-konformen) Konkurrenzverhaltens zugunsten "altruistischer" Solidarität -- ein Verfahren, das zwar bereits innerhalb der EG-12, hier jedoch mit viel geringeren Anforderungen an die "reicheren" Staaten, praktiziert werden konnte.
Aus einem anderen Grund ist ein weiteres Dogma im Verteidigungskonzept zu überprüfen:


5.2 Die Existenz und Rolle taktischer Atomwaffen

Den nachstehenden Schlüssen sind folgende Feststellungen unter dem viktimologischen Aspekt voranzustellen: Ein totaler Atomkrieg würde direkt und langfristig der Menschheit (samt ihrer Umwelt) fast unterschiedslos irreversiblen Schaden zufügen. Das wiederum widerspräche viktimologischen Prinzipien : Denn es würde bedeuten, dass -- mindestens langfristig -- auch der potentielle Sieger sowie neutrale Staaten und alle ihrer Sozialschichten betroffen wären. Die Wahrscheinlichkeit des Eintritts eines totalen Atomkrieges ist daher etwa gleich gering wie die eines Krieges zwischen Staaten im VI-Zustand.
Weit weniger dazu im Widerspruch stünde die Anwendung "taktischer" Kernwaffen, da sie eine eher "lokalisierte" Auslöschung der Kombattanten und der benachbarten Zivilbevölkerung ermöglichen würden. Da z.B. Neutronenbomben kaum starke Druckwellen erzeugen oder Dauerschäden in Atmosphäre und Boden hinterlassen, kann sich zudem die ansässige Oberschicht durch geeignete Schutzräume oder durch rechtzeitige Ausreise mit Aussicht auf Erfolg schützen.
Eine Nagelprobe künftiger Abrüstungsverhandlungen müsste es deshalb sein, dass sie diese Waffenkategorie einbezieht und ihre Abschaffung herbeiführt.
Es ist umso wichtiger, diese Zusammenhänge und die z. Zt. "schlummernden" Fakten in Erinnerung zu rufen, als bei oberflächlicher Betrachtung weniger als je zuvor in der jüngeren Geschichte eine Kriegsgefahr zu bestehen scheint. Tatsächlich bahnt sich jedoch in den Staaten des ehemaligen Warschauer Paktes deutlich ein VP-Zustand an (vgl. Schema 2), von dem einstweilen nicht abzusehen ist, ob er vor Ablauf der kritischen Frist von ca. 10 Jahren abwendbar, oder bereits irreversibel ist.
Gleichwohl kann der viktimologische Ansatz zur Theorie der Kriegsvorbeugung nur beitragen, wenn sein Konzept über die raumzeitliche Beschränkung auf einige Jahrzehnte, und auf Europa, hinausweist. Ein solches Konzept kann nur ein vollständiges Umdenken in dieser Problemkategorie, und den darauf beruhenden Bewusstseinswandel implizieren.


5.3 Allgemeine Empfehlungen

Welche Möglichkeiten bestehen unter dem viktimologischen Aspekt, die aus der kollektiven Viktimisierung resultierende Opferwerdung zu verhindern ? Die (weitgehend auf den interpersonalen Bereich beschränkte) viktimologische Literatur empfiehlt -- allgemein und mit Beispielen -- viktimogenes Verhalten zu vermeiden [3, 5]. Wie bei jeder letztlich psychologischen Patentlösung ist damit das Problem vom Kennen des Lösungsprinzips auf die erfolgreiche Durchführung verschoben: Liesse sich z.B. Mut nach dem "Rezept" einer Anleitung mit Erfolgsgarantie praktizieren, so müsste das ein Misserfolgs-Risiko im voraus ausschliessen. Mit Wegfall dieses Risikos aber würde "Mut" aufhören, Mut zu sein. Hier liegt im übrigen ein deutliches Beispiel dafür vor, inwiefern das in der Technik meist erfolgreiche "Handbuch-Denken" u.a. auf den Bereich Sozialpsychologie in der Regel nicht übertragbar ist. Gleichwohl ist, um im Beispiel zu bleiben, Mut bis zu einem gewissen Grad auch erlernbar.
Immerhin kommen Ratschläge der erwähnten Art ihrem Ziel dann näher, wenn sie den Kausalnexus anhand signifikanter Empirie überzeugend darstellen -- d.h. hier, wenn sie die (bislang weitgehend unbewussten) wahren Kriegsursachen den vorgeblichen bzw. vermeintlichen gegenüberstellen. Das damit veränderte Bewusstsein impliziert ein Umdenken , das die Wahrscheinlichkeit einer erneuten Auslösung der Kausalkette zumindest stark herabsetzt. Die Geschichte der letzten Jahrhunderte kennt dafür prinzipielle Beispiele:
  • Die Verdrängung des Aberglaubens durch die Aufklärung beendete die Unterstellung, es gäbe "Hexerei", sowie ihre unsäglich grausame Verfolgung, die Europa während vierer Jahrhunderte terrorisierte.
  • Bis vor etwa einem Jahrhundert wurde die "private Kriegserklärung", die Herausforderung zum oft tödlichen Duell, als Kavaliersdelikt eingestuft. Nachdem sich seither mit der allgemeinen Prestige- und Moral- auch die Rechtsauffassung verändert hat, ist auch diese Form der Viktimisierung praktisch verschwunden.
  • Die Abschaffung der Sklaverei im letzten, und die offizielle Ächtung des Rassismus in diesem Jahrhundert sind weitere Beispiele dieser Art.
Auf der Grundlage von Forschungsergebnissen, die interpersonale, sozialpsychologische und sozio-politische Gesetzmässigkeiten aufdecken, transparent und schliesslich allgemein bewusst machen, sollte eine weitere Aufklärung den Boden für die Abschaffung alles Militärischen bereiten.




Literatur

(Numeriert [1] ... in der Reihenfolge der erstmaligen Erwähnung im Text)


[1] Martin Mendler, Wolfgang Schwegler-Rohmeis (1989): "Weder Drachentöter noch Sicherheitsingenieur -- Bilanz und kritische Analyse der sozialwissenschaftlichen Kriegsursachenforschung", HSFK-Forschungsbericht 3/1989, Frankfurt /M. (191 S.)
Zurück zur Textreferenz

[2] Joachim Reuss, Dominik Prodöhl (1991): "A Victimological Approach to Causes of War"; Peace Research, Vol.23, No.2-3, 37-48
Zurück zur Textreferenz

[3] Hans-Joachim Schneider (1982): Das Verbrechensopfer in der Strafrechtspflege, Sammelband, Berlin, New York (De Gruyter)
Zurück zur Textreferenz

[4] Terence P. Thornberry, Simon I. Singer (1979): "Opfer und Täter: Zur Übereinstimmung zweier Populationen", in: Gerd F. Kirchhoff, Klaus Sessar: "Das Verbrechensopfer", Bochum (N. Brockmeyer)
Zurück zur Textreferenz

[5] Walter Kiefl, Siegfried Lamneck (1986): "Soziologie des Opfers", München (W. Fink)
Zurück zur Textreferenz

[6] P. H. Johnson et al. (1973): "The Recidivist Victim", Huntsville, Texas; zitiert in: "Das Verbrechensopfer", wie unter [4]
Zurück zur Textreferenz

[7] Michael D. Wallace (1973): "War and Rank among Nations", Lexington (Mass.); aufgeführt in [1]
Zurück zur Textreferenz

[8] Maurice A. East (1972): "Status Discrepancy and Violence in the International System: An Empirical Analysis", in: Rosenau, Davis, East (Eds.): "The Analysis of International Politics", New York; 299-316; aufgeführt in [1]
Zurück zur Textreferenz

[9] James L. Ray (1974): "Status Inconsistency and War Involvement in Europe, 1816-1970", in: Peace Science Society (International) Papers, 69-80
Zurück zur Textreferenz

[10] James L. Ray (1978): "Status Inconsistency and 'Aggressive' War Involvement in Europe, 1816-1970", Paper presented to the International Science Association, February
Zurück zur Textreferenz

[11] Charles S. Gochman (1975/a): "Status, Power and Interstate Conflict: The Major Powers 1820-1970", Paper delivered at the meetings of the International Studies Association, Washington D. C.
Zurück zur Textreferenz

[12] Charles S. Gochman (1975/b): "Status, Conflict and War: The Major Powers 1820-1970", unpublished Ph. D. dissertation, University of Michigan
Zurück zur Textreferenz

Auf die z.T. unveröffentlichten und schwer zugänglichen Drucksachen [9 bis 12] wird in [13] Bezug genommen (erwähnt in [1]):

[13] Dina A. Zinnes (1980): "Why War? Evidence on the Outbreak of International Conflict", in: GURR, Ted Robert (Ed.): "Handbook of Political Conflict", New York, London, 331-360

[14] Bruce Bueno de Mesquita (1980): "Theory of International Conflict : An Analysis and an Appraisal", in: GURR, Ted Robert (Ed.): "Handbook of Political Conflict"/ Theory and Research, New York, 361-398
Zurück zur Textreferenz

[15] Rudolph J. Rummel (1983): "Libertarianism and International Violence"; Journal of Conflict Resolution, Vol. 27, No. 1, 27-71
Zurück zur Textreferenz

[16] Dominik Prodöhl, Joachim Reuss (1982): "Zur Psychologie interpersonaler und internationaler Konflikte"; Gestalt Theory, Vol. 4, No. 1/2, 72-88
Zurück zur Textreferenz